Leseproben aus dem Buch:
"60 Marathonstrecken hat eine Stunde"
von Kurt Hahn:
Lauf Nr 39
Lauf Nr.47
Lauf Nr.53
Nachwort

Leseprobe aus dem Buch:
"60 Marathonstrecken hat eine Stunde
Wie es weiterlief...2001"
von Kurt Hahn:
Greenhorn am Jungfrau-Marathon

 

Lauf Nr 39, Seite 261, übertitelt: 18.10.92, Athen - Zum Ursprung zurück
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Da ich immer noch ziemlich locker war, wollte ich dieses Tempo nun beibehalten. Das müßte dann - so rechnete ich mir aus - im Ziel eine Zeit von 3:42h ergeben!
Die Erde rechts der Straße bis zu den Bergen war ausgetrocknet, typisch für Attika im Oktober!
Auf der ganzen Strecke hatte ich keine Sanitäter oder gar Ärzte gesehen. Bei einem Muskelkrampf mußten die Läufer sich untereinander helfen.
Bei Kilometer 32 kam man auf den höchsten Punkt des Marathonlaufs, auf 210 Meter, dann ging es bis ins Ziel (auf 60 Meter Höhe) fast stets bergab.
Von weitem war die Akropolis oben auf dem Hügel zu sehen. Man war schon in Athen. Der Autoverkehr nahm zu. Meist nur ein Fahrstreifen war für die Läufer gesperrt. Viele Autofahrer ärgerten sich, weil ihnen das Linksabbiegen verwehrt wurde! Nur manchmal wurden einige durchgelassen. Auch viel weibliche Polizei auf den Straßen! Autos im Stau! Niemand stellte deswegen den Motor ab. Die Autofahrer aus den Seitengassen, die nicht auf die Hauptstraße gelassen wurden, taten ihren Unmut durch lautes Hupen kund. Sie verstanden nicht, wieso man freiwillig 42,195 Kilometer lief und ihnen deswegen den Weg versperrte.
Rechts Autos, links Autos! Die Luft wurde wegen der Autoabgase und der Hitze unerträglich. Nur rasch weiter, damit man die Luft nicht allzu lang einatmen mußte.
Schließlich Kilometer 35 in genau 3 Stunden! Noch gut 7 Kilometer! Ich weiß es jetzt: Ich werde heute in einer Zeit von unter 3:58h ankommen! Ein beruhigendes Gefühl!
Ein älteres griechisches Ehepaar steht auf dem Mittelstreifen der Straße und spendet unermüdlich Beifall. Ich winke den beiden lächelnd zu und ein Lächeln kommt zurück. Dann sind es zwei junge Mädchen, die Beifall klatschen und auf mein Winken zaghaft verhalten zurückwinken. Ist das einer der Momente gewesen, in denen Athen eines seiner Geheimnisse preisgegeben hat?
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Lauf Nr.47, Seite 328, übertitelt:18.04.94 - Der älteste Marathon der Welt
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Am Montagmorgen hatte das Warten auf das große Ereignis dann endlich ein Ende. Das Wetter war gut, das heißt, die Sonne schien, doch es war nicht zu warm. Abfahrt nach Hopkinton mit einem der vielen dunkelgelben Schulbusse! Das klappte alles ausgezeichnet. Vier Busse fuhren jeweils zugleich vor und auch ab. Über 9.000 der weltweit ca. 1 Million Marathonläuferinnen und -läufer waren auf dem Weg zum Start des Boston-Marathonlaufs 1994! Fernsehkameras wollten das Ereignis live in die ganze Welt übertragen.
Der Wind wehte ungemütlich in Hopkinton. So gingen viele nach der Ankunft in die dortige Schulsporthalle, ich auch. Jeder Quadratmeter der Halle war mit sitzenden oder liegenden Läufern besetzt, die hier die Zeit bis zum Start um 12 Uhr überbrückten.
Der unvermeidliche Toilettengang, das Fertigmachen zum Start, die Abgabe der Sporttasche an dem für meine Startnummer richtigen Schulbus und der 10minütige Weg (bei dem viele Läufer hinter Büschen von Vorgärten verschwanden...) zum Start, alles das füllte die Zeit danach bis zum COUNT DOWN aus.
Ich bin mit meiner Qualifikationszeit für den letzten von neun Startblöcken eingeteilt worden und begebe mich dorthin. Die US-Nationalhymne wird gespielt! Um 11.45 Uhr werden die Rollstuhlfahrer gestartet, dann um 12 Uhr die Läufer.
Ich höre den Startschuß und drücke meine Stoppuhr, aber zunächst tut sich gar nichts. Erst langsam setzt sich schließlich das Feld um mich herum in Bewegung, und bis ich an der Startlinie ankomme, sind bereit zweieinhalb Minuten vergangen, die mir niemand gutschreiben wird.
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Lauf Nr.53, Seite 386, übertitelt: 30.04.95 - Im Wettkampf mit Petra
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Zwei Sportkameraden aus der Hamburger Betriebssportgruppe, Siegfried Bernien und Fritz Bartels, sehe ich nacheinander als Zuschauer an der Strecke. Sie winken mir zu; ich winke zurück. Das tut gut!
Vor mir läuft Annegret Hoyer.
"Annegret, jetzt geht es nach Hause!" rufe ich ihr im Vorbeilaufen zu.
"Ja!"
Hinter dem Verpflegungstand bei Kilometer 35 steht Michael nicht! Hat er es nicht mehr rechtzeitig geschafft? Doch da, ein paar hundert Meter weiter, sehe ich ihn, wieder einen Becher Cola in der Hand. Ich nehme den Becher und höre von Michael, daß Petra dreieinhalb Minuten hinter mir ist.
"Oh so dicht ist sie dran!" entfährt es mir überrascht.
"Geb noch mal alles!" ruft Michael mir zu, doch ich trinke erst mal.
"Viel trinken, das tut gut!" meint vom Straßenrand ein weiterer Betriebssportler, der mich unter den vielen Läuferinnen und Läufern entdeckt hat. Es geht nach Eppendorf hinunter.
Mit einem jungen Mann unterhalte ich mich. Ich traf ihn bei Kilometer 21 und laufe mit ihm ein Stück zusammen.
"Kurt ist dreidreiviertel Minuten vor dir", höre ich Steven. Das gibt noch mal Motivation, und ich ziehe davon. Bei Kilometer 27 hält Kurts Sohn Michael Cola für mich bereit und sagt mir, daß Kurt 2 Minuten vor mir sei (obwohl es , wie ich später erfahre, in Wirklichkeit dreieinhalb Minuten sind).
"Das hole ich noch auf!" rufe ich Michael fröhlich zu und laufe noch ein wenig schneller weiter. In der letzten Woche vor dem Marathonlauf hatte ich mich nicht besonders leistungsstark gefühlt, die wenigen Trainingskilometer waren mir schwergefallen. Kurt hatte gemeint, das wäre ein gutes Zeichen. Und das stimmt: ich könnte mich jetzt nicht besser fühlen.
Bei Kilometer 30 soll Kurts Tochter Sabine stehen; leider sehe ich sie nicht. Ich bin weiterhin gut drauf. Das ist ja sagenhaft heute: ich kann noch zulegen!
Ich habe Kilometer 35 hinter mir gelassen. Da steht wieder Michael. Er schenkt gerade Cola in einen Becher ein und schaut mich erstaunt an.

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Nachwort von "Dr. Petra Cordes", Seite 566, übertitelt: Gedanken über das Laufen
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Warum in aller Welt machst Du das? Du machst Dich doch kaputt damit, Du ruinierst Deine Gesundheit, bist sowieso zu dünn usw. usw.
Welcher Läufer- besonders Langstreckenläufer - hat dies nicht schon zu hören bekommen von wohlmeinenden Mitmenschen, besonders auch Eltern.
Das macht einen doch stutzig, denn eigentlich sollte ja das Gegenteil "von den Körper ruinieren" der Fall sein - rein medizinisch gesehen, versteht sich.
Laufen ist gesund! Es fördert den Fettabbau und hält das Gewicht auf niedrigem Niveau, greift in den Stoffwechsel ein, indem es das LDL-Cholesterin senkt und HDL erhöht, welches eine gefäßschützende Wirkung ausübt. Bewegung an frischer Luft fördert die Lungenventilation, regt den Kreislauf an, führt langfristig zu einer niedrigen Pulsfrequenz und verringert somit die Belastung des Herzens insgesamt. Laufen (in Maßen) verbessert die Immunabwehr, baut Streß und Aggressionen ab und führt somit zu einer ausgeglicheneren Stimmungslage, setzt Endorphine frei und vermindert die Gefahr depressiver Stimmungen. Abgesehen davon führt regelmäßiges Training meist zu einer gesünderen Lebensweise ohne Rauchen, Alkohol im Überfluß oder Genuß von Drogen.
Warum dann solche oder andere Bemerkungen? Sind nicht vielmehr diejenigen dabei, sich zu ruinieren, die n i c h t laufen??
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Auszug aus dem Buch "60 Marathonstrecken hat eine Stunde. Wie es weiterlief...2001"
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Seite 77/78, übertitelt: Greenhorn am Jungfrau-Marathon von Evelyne Binsack
Warum habe ich mich bloß für diesen Marathon angemeldet? Ich könnte doch jetzt, anstatt meine Muskelfasern an die flachen Strecken zu gewöhnen, an sonnigen Felsen meiner Leidenschaft frönen: dem Sportklettern... ein Freund hat, wie einer Katze mit der Schnur, meine Aufmerksamkeit zum Marathon angestachelt. Ich tröste mich damit, dass ich ja zum Plausch mitmache und im Gegensatz zu den Spitzenathletinnen null vorbelastet sei...

Ich befinde mich am Start: Ich habe mich in der Kolonne "unter 4:10 Laufzeit" eingereiht, also direkt hinter den Eliteläufern. Aufgeregt mustere ich die vielen Menschen vor, hinter und um mich herum, deren Beine kahlrasiert und mit Medizinal-Massagecréme eingerieben sind. Direkt vor mir steht eine Frau mit langem Pferdeschwanz und ich sinniere, wie viel Gewicht diese Frau wohl mit ihrer Haarpracht mitschleppe?

Peng! Der Startschuss knallt und schon ist eine ganze Meute zielorientierter Läufer unterwegs zu den 42 Kilometern und 1700 Höhenmetern. Es dauert eine Weile, bis meine Muskeln das Spiel endlich verstehen: Vor drei Tagen stand ich als Bergführerin mit Gästen auf dem Gipfel des Matterhorns und nun müssen meine Beine anstatt steile Tritte zu bewältigen, die ganze Kraft in Schub umwandeln. Nach etwa fünf Kilometern haben meine Beine begriffen und endlich renne ich im Sog der über 3000 Läuferinnen und Läufer. Nach 11 Kilometern erreichen wir Gsteigwiler. Welche Begeisterung, welche Freude! Die Kinder springen mir hinterher und überall ertönen unterstützende Rufe: Hopp Evelyne! Ich fühle mich wie in Forest Gump`s Filmausschnitt, als er zwei Jahre quer durch Amerika rannte und begeisterte Läufer hinter ihm her gingen.

Überall sind Hopp- und Heyrufe zu hören und meine Beine scheinen diese Aufforderung direkt umzusetzen: Schon bald ist die Halbmarathon-Strecke geschafft und mit Freude bemerke ich, dass ich zehn Minuten schneller als geplant unterwegs bin.

Im Gegensatz zu den meisten Läufern bin ich erleichtert, als es in Lauterbrunnen bergauf geht. In kurzen aber lockeren Schritten lasse ich die Steigungen hinter mir und als ich bei km 38 ankomme weiß ich: hey, das schaffst du!

Auf der Moräne "schnupfe" ich einige Läufer im Vorbeijagen. Nach dem Eigergletscher sausen meine Beine von alleine bergab und hundert Meter vor dem Ziel sehe ich die Zeitangabe: 3 Stunden, 53 Minuten. Ich schaffe das Ziel unter vier Stunden, jagt es mir durch den Kopf! Die Tränen steigen mir in die Augen, mit unendlicher Freude passiere ich nach 3:53:56 das Ziel als 9. Frau, als 5. Schweizerin. Ein Glücksgefühl macht sich in mir breit und scheint meinen ganzen Körper zu erfüllen. Mit den vielen Hopp-Rufen, den Kindern in Gsteigwiler und der vibrierenden Energie aller Beteiligten gelingt mir mein zweites, persönliches Ziel am Jungfau-Marathon. Herzlichen Dank!